Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 29. Juli 2020


Monopolkommission: Die Wettbewerbsordnung in Europa in Zeiten der Corona-Krise, des digitalen Wandels und wachsender Herausforderungen durch den chinesischen Staatskapitalismus stärken

Deutschland hat die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union in einer Zeit großer Herausforderungen für die Wettbewerbsordnung in Europa übernommen. Die Corona-Krise gefährdet die wirtschaftliche Stabilität nachhaltig. In der Folge von Rezession und Strukturveränderungen wird die Konzentration auf vielen Märkten zunehmen. Der mit der Krise einhergehende Digitalisierungsschub wird die Marktmacht der führenden Digitalkonzerne weiter stärken. Für eine wachsende Belastung der europäischen Unternehmen im Binnenmarkt sorgt zudem China, welches staatliche und private Unternehmen im Rahmen seiner Wirtschaftspolitik stützt und deren Handeln mit beeinflusst. Die Wettbewerbsordnung in der Krise zu stärken wird eine der großen Aufgaben der deutschen Ratspräsidentschaft sein. Gefragt ist ein Gegenentwurf zu industriepolitischen Ansätzen, die den Wettbewerb im Binnenmarkt dauerhaft schädigen und damit ein zentrales Element der europäischen Wirtschaftsordnung gefährden würden.

Der Vorsitzende der Monopolkommission, Prof. Achim Wambach, Ph.D. sagt dazu: „Der Europäische Binnenmarkt ist eine Erfolgsgeschichte. Der Wettbewerb im Binnenmarkt sollte durch neue Instrumente gestärkt werden. Hierzu kann die Bundesregierung beitragen, indem sie sich im Rahmen der Ratspräsidentschaft für eine Plattformregulierung einsetzt. Missbräuchliches Verhalten von marktbeherrschenden Plattformen muss verhindert werden. Außerdem sollte ein Drittlandsbeihilfeinstrument eingeführt werden. Dessen Ziel ist es, fairen Wettbewerb zwischen europäischen und insbesondere chinesischen Unternehmen sicherzustellen.“

Die Monopolkommission gibt in ihrem Hauptgutachten „Wettbewerb 2020“ Empfehlungen ab, wie die Wettbewerbsordnung in Deutschland und Europa gestärkt werden kann. Sie hat ihr Gutachten heute dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier, übergeben.

Im Einzelnen schlägt die Monopolkommission vor:

  • in der Corona-Krise das Kartellrecht weiterhin ohne materiell-rechtliche Abstriche anzuwenden und die potenziell wettbewerbsverzerrend wirkenden staatlichen Rettungsschirme für Unternehmen mit wettbewerbsfördernden Maßnahmen zu flankieren,
  • die Marktmacht der großen digitalen Plattformen auf der europäischen Ebene durch das Setzen von Regeln für marktbeherrschende Plattformen wirksam zu begrenzen,
  • Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt mit einem neuen Drittlandsbeihilfeinstrument im europäischen Wettbewerbsrecht abzubauen. Damit sollen Subventionen, die Drittländer wie China Unternehmen gewähren, mitgliedsstaatlichen Beihilfen in der Sache gleichgestellt werden.

Die Mehrzahl staatlicher Maßnahmen zur Rettung von Unternehmen in der Corona-Krise unterliegt wegen ihrer potenziell wettbewerbsverzerrenden Wirkung der Kontrolle durch die Europäische Kommission. Allerdings sind nicht alle Hilfsmaßnahmen, die die Beihilfekontrolle passieren, wettbewerbsneutral. So können etwa Hilfen für die Deutsche Bahn AG dem Wettbewerb auf dem Transportsektor schaden, wenn diese nicht auch den Wettbewerbern zugute kommen, etwa indem die Hilfen für Investitionen in die Infrastruktur Schiene gewährt werden. Staatliche Beteiligungen an Unternehmen, wie an der Deutsche Lufthansa AG, sind mit wettbewerbsfördernden Auflagen und einem Plan für die Wiederveräußerung der staatlichen Anteile zu flankieren. In der Krise kann eine flexible Anwendung des Kartellrechts bei zeitlich befristeten Unternehmenskooperationen angezeigt sein. Dies gilt jedoch nicht bei den Regeln für die Zusammenschlusskontrolle. Anders als bei Kooperationen, die nach der Krise vergleichsweise einfach beendet werden können, würden durch Zusammenschlüsse einmal erlangte Machtpositionen zulasten des Wettbewerbs und der Verbraucher dauerhaft bestehen bleiben.

Die Tätigkeit großer Online-Plattformen kann dazu führen, dass Märkte kippen oder sich Ökosysteme ausbilden. Da sich die Marktstruktur infolgedessen dauerhaft verfestigen kann, schließt sich die Monopolkommission der Empfehlung für eine auf europäischer Ebene zu erlassende Plattformverordnung an. Diese würde beherrschenden Plattformunternehmen bestimmte Verhaltenspflichten auferlegen, namentlich ein Selbstbegünstigungsverbot sowie verschärfte Interoperabilitäts-und Portabilitätspflichten. Daneben könnten in die Verordnung Abstellungsregelungen für Marktmachtmissbräuche mit dauerhaften Auswirkungen auf die Marktstruktur und für Verstöße gegen die in der Plattformverordnung festgelegten zusätzlichen Pflichten beherrschender Plattformunternehmen aufgenommen werden. Ein weiteres zu regelndes Problem ist, dass die Kartellbehörden zwar umfassende Auskunftsbefugnisse haben, bei deren Einsatz im Verfahren aber auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen können. Die Monopolkommission empfiehlt deshalb, die verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten in Fällen zu verschärfen, in denen die Behörden alle zumutbaren Ermittlungsanstrengungen unternommen haben.

Der chinesische Staat greift zur Erreichung seiner wirtschaftspolitischen Ziele in vielfältiger Weise, unter anderem mit Subventionen an staatliche und private Unternehmen, in das Wirtschaftsgeschehen ein. Mit der zunehmenden Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft wirken sich diese Markteingriffe immer stärker zum Nachteil europäischer Unternehmen aus. Der Schutz der europäischen Marktwirtschaft ist nach den bestehenden Regeln gerade im Fall drittstaatlicher Subventionen lückenhaft. Die Monopolkommission befürwortet die Einführung eines Drittlandsbeihilfeinstruments, mit dem drittstaatliche Subventionen und mitgliedstaatliche Beihilfen weitgehend gleichgestellt würden. Das Instrument sollte der Europäischen Kommission eine Intervention ermöglichen, um subventionsbedingte Vorteile abzuschöpfen. In Fällen des Unternehmenserwerbs und bei mitgliedsstaatlichen Beschaffungen sollte zudem für alle Beteiligten eine Stillhalteverpflichtung gelten, d. h. das Verfahren sollte bis zur Prüfung der Drittlandsbeihilfe ausgesetzt werden. Dies würde verhindern, dass die Subvention in Fällen des Unternehmenserwerbs an den Veräußerer oder bei Beschaffungen an den Träger der ausschreibenden Stelle fließt und dann diesem mittelbar Begünstigten eine mögliche Ausgleichsabgabe auferlegt werden müsste.



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