Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Abs. 1 Satz 4 GWB, Bonn, 27. April 2010


  • Monopolkommission befürwortet Entflechtungsregelung prinzipiell
  • Monopolkommission für staatliche Kompensation bei Entflechtung
  • Monopolkommission fordert stärkere Berücksichtigung von Investitions- und Innovationsanreizen

Die Monopolkommission hat heute der Bundesregierung ein Sondergutachten zu den Entflechtungsplänen von Bundeswirtschaftsminister Brüderle zugeleitet. Das Gutachten trägt den Titel "Gestaltungsoptionen und Leistungsgrenzen einer kartellrechtlichen Unternehmensentflechtung".

In dem Gutachten setzt sich die Monopolkommission insbesondere mit dem Vorschlag auseinander, die Möglichkeit einer eigentumsrechtlichen Entflechtung unabhängig von einem nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zu verankern.

Prinzipiell befürwortet die Mehrheit der Monopolkommission ein solches Vorhaben. Eine "objektive" Entflechtungsregelung kann dazu beitragen, auf Märkten mit verfestigten nicht wettbewerblichen Strukturen Wettbewerbsprozesse in Gang zu setzen und aufrechtzuerhalten. Die bestehenden kartellrechtlichen Instrumente – Fusionskontrolle, Kartell- und Missbrauchsaufsicht – reichen hingegen nicht in allen Fällen aus, um strukturellen Wettbewerbsbeschränkungen ursachenadäquat zu begegnen.

Nach mehrheitlicher Ansicht der Monopolkommission stehen einer objektiven Entflechtungsvorschrift keine grundsätzlichen verfassungs- oder europarechtlichen Bedenken entgegen.

Der Vorsitzende der Monopolkommission, Prof. Justus Haucap, mahnt jedoch an: "Negative Vorfeldwirkungen einer Entflechtungsregelung, insbesondere der Verlust von Investitions- und Innovationsanreizen bei den potenziell betroffenen Unternehmen, müssen stärker berücksichtigt werden. Bei einer Entflechtungsregelung ist mehr Gewicht auf eine angemessene Kompensation von geleisteter Investitions- und Innovationstätigkeit zu legen."

Um negative Vorfeldwirkungen, die sich in einem Verlust von Investitions- und Innovationsanreizen manifestieren, weitestgehend zu vermeiden, schlägt die Monopolkommission vor, dem entflochtenen Unternehmen neben dem Verkaufserlös eine Kompensation aus öffentlichen Mitteln zu gewähren. Die Höhe dieser staatlichen Kompensationsleistung sollte generell die Hälfte der Differenz zwischen dem gutachterlich festgestellten Wert des zur Veräußerung bestimmten Vermögensteils und dem erzielten Verkaufserlös betragen. Dass die Unternehmen diese Differenz zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung nicht exakt quantifizieren können, ist nach Auffassung der Monopolkommission kein Problem, da die Unternehmen im Mittel von einer geeigneten Höhe ausgehen werden. Die Monopolkommission ist sich allerdings bewusst, dass die vorgeschlagene, generalisierende 50%-Regelung im Einzelfall teilweise zu einer Über-, teilweise zu einer Unterkompensation der im Rahmen einer Entflechtung verloren gehenden Investitions- und Innovationsrenten führen wird. Aus Praktikabilitätsgründen spricht sie sich dennoch gegen eine Pflicht zur Ermittlung der exakten Kompensationshöhe, sondern für eine generalisierende Regelung aus.

Für den Fall, dass ein betroffenes Unternehmen nachweisbar höhere Investitions- und Innovationsleistungen erbracht hat, soll es eine weitergehende Kompensation auf dem Zivilrechtsweg einklagen können. Wegen der fiskalischen Auswirkungen der vorgeschlagenen Kompensationslösung empfiehlt die Monopolkommission, der Bundesregierung bei Entflechtungsmaßnahmen ein Vetorecht oder die Möglichkeit einzuräumen, ein Ministerdispensverfahren zu beantragen.

Aufgrund des engen Sachzusammenhangs zwischen einer objektiven Entflechtungsregelung einerseits und der geplanten 8. GWB-Novelle andererseits fordert die Monopolkommission den Gesetzgeber nachdrücklich dazu auf, die beabsichtigten Gesetzesänderungen in einem einheitlichen Gesetzgebungsprozess umzusetzen. Nur auf diesem Weg lassen sich Friktionen, Widersprüche und die Notwendigkeit nachträglicher Anpassungsprozesse vermeiden. Nach Auffassung der Monopolkommission besteht auch keine besondere Dringlichkeit für die Einführung einer Entflechtungsregelung, die einem zeitlich und inhaltlich verbundenen Gesetzgebungsprozess entgegenstünde.

Die Absicht, neben dem objektiven Entflechtungsinstrument auch eine Entflechtungsbefugnis des Bundeskartellamts bei nachgewiesenem Kartellrechtsverstoß im GWB zu implementieren, bewertet die Monopolkommission durchweg positiv. Mit der Regelung wird sichergestellt, dass Kartellrechtsverstöße zuverlässig und wirksam abgestellt werden können. Daneben wird die Abschreckungswirkung erhöht, weil marktbeherrschende Unternehmen bei behördlicher Aufdeckung von Missbräuchen oder Kartellen nunmehr auch mit Struktureingriffen rechnen müssen. Da nachweislich eine Verletzung des Wettbewerbsrechts durch das entflochtene Unternehmen vorliegt, kommt nach Ansicht der Monopolkommission insoweit keine staatliche Kompensationsleistung in Betracht.

Die Monopolkommission begrüßt darüber hinaus das geplante allgemeine Stellungnahmerecht des Bundeskartellamts in Gesetzgebungsverfahren mit wettbewerblichem Bezug. Im europäischen Umfeld verfügt bereits eine Reihe von nationalen Wettbewerbsbehörden über ähnliche Kompetenzen. Durch eine ausschließlich am Wettbewerbsprinzip orientierte Stellungnahme wird nach Auffassung der Monopolkommission der Wettbewerbsgedanke im Gesetzgebungsprozess gestärkt und die Entscheidungsgrundlage des Gesetzgebers wesentlich verbessert.

Das Kommissionsmitglied Peter-Michael Preusker trägt das Sondergutachten nicht mit und hat dazu eine eigene Stellungnahme verfasst.


Hier finden Sie:

die Pressemitteilung der Monopolkommission

die Pressemitteilung des Kommissionsmitglieds Peter-Michael Preusker

das Gutachten im Volltext

das Minderheitsvotum des Kommissionsmitglieds Peter-Michael Preusker