XXIII. Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 29. Juli 2020



Die Volksrepublik China hat seit der Einleitung der ersten marktwirtschaftlichen Reformen vor einigen Jahrzehnten eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung verzeichnet. China ist heute weder eine Marktwirtschaft noch eine Planwirtschaft, sondern verfolgt mit seiner „Sozialistischen Marktwirtschaft mit chinesischen Merkmalen“ ein hybrides Wirtschaftsmodell, das sowohl staatswirtschaftliche als auch marktwirtschaftliche Elemente enthält. Der chinesische Staat greift zur Erreichung seiner wirtschaftspolitischen Ziele in vielfältiger Weise, unter anderem mit Subventionen an staatliche und private Unternehmen, in das Wirtschaftsgeschehen ein.

Um Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen zu vermeiden, wie sie insbesondere aufgrund drittstaatlicher Subventionen bestehen können, wird seit einiger Zeit verstärkt über Reformmöglichkeiten im europäischen Außenwirtschafts- und Wettbewerbsrechts sowie diskutiert. Dabei ist zu beachten, dass die Einflussnahme von Drittstaaten auf die Wirtschaft bereits Regeln unterliegt. Im grenzüberschreitenden Warenverkehr sind europäische Unternehmen durch Antidumping- und Antisubventionsinstrumente geschützt. Die EU-Wettbewerbsregeln sind zwar nicht unmittelbar auf Maßnahmen von Drittstaaten, aber immerhin auf das Verhalten von Unternehmen aus Drittstaaten in der EU anwendbar. Bei der Beurteilung der Marktstellung solcher Unternehmen in der Missbrauchs- und Fusionskontrolle kann zudem berücksichtigt werden, dass dahinter ein Drittstaat steht.

Die Monopolkommission empfiehlt zur Schließung der vorhandenen Lücken die Einführung eines Drittlandbeihilfeinstruments, mit dem drittstaatliche Subventionen und mitgliedstaatliche Beihilfen möglichst weitgehend gleichgestellt würden. Im Unterschied zum Vorschlag der Europäischen Kommission, die in ihrem Weißbuch über die Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen bei Subventionen aus Drittstaaten drei Teilinstrumente vorschlägt, befürwortet die Monopolkommission ein einheitliches Instrument. Ein derartiges Drittlandbeihilfeinstrument, das in die Form einer auf Art. 103, 109 i.V.m. Art. 352 AEUV gestützten EU-Verordnung gefasst und das als Interventionsrecht ausgestaltet werden könnte, würde dafür sorgen, dass alle wirtschaftlichen Fördermaßnahmen von Staaten, die Unternehmen im EU-Binnenmarkt zugutekommen, vorbehaltlich besonderer EU-Interessen an den mit drittstaatlichen Subventionen verbundenen Vorteilen gleich behandelt werden. In Fällen des Unternehmenserwerbs und bei mitgliedsstaatlichen Beschaffungen sollte zudem für alle Beteiligten eine Stillhalteverpflichtung gelten, d.h. das Verfahren sollte bis zur Prüfung der Drittlandsbeihilfe ausgesetzt werden. Dies würde verhindern, dass die Subvention in Fällen des Unternehmenserwerbs an den Veräußerer oder bei Beschaffungen an den Träger der ausschreibenden Stelle fließt und dann diesem mittelbar Begünstigten eine mögliche Ausgleichsabgabe auferlegt werden müsste.

Bei Unternehmen mit einer staatlichen Kapitalbeteiligung oberhalb eines bestimmten Schwellenwerts (z.B. 20 %) sollte vermutet werden, dass ihnen gegenüber Maßnahmen getroffen werden, die als mitgliedstaatliche Maßnahme gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV verstoßen würden. Zur Bewältigung von anderweitigen Informationsproblemen in Bezug auf Vorgänge in Drittstaaten sollte bei Bedarf auf vorhandene Tatsachen (facts available) abgestellt können. In Fällen, in denen sich Unternehmen zusammenschließen, die einem potenziellen Wettbewerb von drittstaatlichen Unternehmen ausgesetzt sein können, sollte in der Fusionskontrolle zukünftig stärker berücksichtigt werden, dass der Markteintritt dieser drittstaatlichen Unternehmen von politisch-strategischen und nicht nur von wirtschaftlichen Erwägungen abhängen kann.


Downloads: