XXIII. Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 29. Juli 2020




In Kapitel III entwickelt die Monopolkommission auf der Grundlage der deutschen und europäischen kartellrechtlichen Entscheidungspraxis im Berichtszeitraum Handlungsempfehlungen an Gesetzgeber und Kartellbehörden.

Die Monopolkommission pflichtet der durch den Bundesgerichtshof (BGH) vorgenommenen Marktabgrenzung bei Werbeblockern bei. Sie weist jedoch darauf hin, dass im Rahmen der Bestimmung der marktbeherrschenden Stellung alle Wettbewerbskräfte unter Berücksichtigung aller relevanter Marktteilnehmer und der zwischen ihnen auftretenden Netzwerkeffekte auf den zugrundeliegenden zweiseitigen Märkten zu erfassen sind.

In ihrer Analyse des von der Europäischen Kommission entschiedenen Falls „Google Android“ kommt die Monopolkommission zu dem Ergebnis, dass den Wettbewerbsbehörden mit Art. 102 AEUV ein wirksames kartellrechtliches Instrument zur Verfügung steht. Aus Sicht der Monopolkommission verdeutlicht der Fall jedoch, dass Abhilfemaßnahmen, welche die Abstellung eines missbräuchlichen Verhaltens verfügen, ohne wettbewerbliche Wirkung bleiben dürften, sofern die Marktstruktur bereits geschädigt ist.

Aus Sicht der Monopolkommission beachten die deutschen Behörden und Gerichte zu wenig die Vorgaben des Unionsrechts, die eine einheitliche Rechtsanwendung sicherstellen sollen. Insbesondere die letztinstanzlichen Gerichte sind in der Verantwortung dafür, dass solchen Fehlentwicklungen vorgebeugt wird.

Das Bundeskartellamt hat Lockerungen der individuellen Werbemöglichkeiten bei Olympischen Spielen erzielt, seine Entscheidung jedoch auf deutsche Athleten beschränkt. Die Monopolkommission hält es für geboten, dass die Wettbewerbsbehörden in solchen Fällen jedenfalls unionsweit für gleiche Bedingungen sorgen. Hier kann ein Tätigwerden seitens der Europäischen Kommission angezeigt sein. Diese sollte auch prüfen, ob der Erlass von Leitlinien für die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf den Sportsektor in Betracht kommt.

Das Bundeskartellamt hat den gemeinsamen Ausbau von Glasfaseranschlussnetzen durch Deutsche Telekom und EWE in Nordwestdeutschland genehmigt. Die Monopolkommission kommt zu dem Schluss, dass die angenommenen Zusagen grundsätzlich geeignet sind, den mit der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens einhergehenden Einschränkungen des Wettbewerbs entgegenzuwirken. Sie spricht sich jedoch dafür aus, zukünftig bei ähnlich gelagerten Fällen dahin gehende Zusagen zu erwirken, dass solche Gebiete, die auch ohne Kooperation erschließbar sind, von der Kooperation ausgenommen werden.

In Bezug auf die zentrale Vermarktung der Fußball-Bundesliga hat das Bundeskartellamt das Vermarktungsmodell der Übertragungsrechte für die Spielzeiten ab 2021/2022 auf Basis vorläufiger Ermittlungen gebilligt. Allerdings wird in der Entscheidung der eingeschränkte Preiswettbewerb nicht hinreichend thematisiert. Es ist zu empfehlen, dass die ökonomischen Auswirkungen der Zentralvermarktung insgesamt systematischer erfasst werden.

Angesichts der unterschiedlichen Beurteilung von Bestpreisklauseln in der Europäischen Union sollte eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) erfolgen, sofern im Fall „Booking.com“ Rechtsbeschwerde beim BGH eingelegt wird. In Bezug auf die von engen Bestpreisklauseln ausgehenden Wettbewerbseffekte gelangen ökonomische Studien zu ambivalenten Schlüssen. Daher rät die Monopolkommission dazu, Effizienzgewinne und Wettbewerbsbeschränkungen enger Bestpreisklauseln weiter zu analysieren. Von einem generellen Verbot solcher Klauseln sollte jedenfalls abgesehen werden.

Die Monopolkommission empfiehlt, die Gründe für die Wiederaufnahme eines Zusagenverfahrens um die Möglichkeit der Kartellbehörde, die Zusagenentscheidung mit einem Widerrufsvorbehalt zu erlassen, zu ergänzen. In der Vorschrift sollte zum Ausdruck kommen, dass ein Widerruf nur insoweit in Betracht kommt, als die mit den Verpflichtungszusagen bezweckten, aber letztlich nicht erreichten Wirkungen bereits im Einzelnen in der Zusagenentscheidung genannt sind.


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