XXII. Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 3. Juli 2018


Trotz der zahlreichen Vorteile, die mit der Verwendung von Preisalgorithmen einhergehen, werden zunehmend auch potenzielle Nachteile diskutiert. Wettbewerbshindernde Effekte durch den Einsatz von Preisalgorithmen werden insbesondere im Zusammenhang mit Kollusion für möglich gehalten. Unter Kollusion wird typischerweise ein Marktergebnis verstanden, bei dem Unternehmen durch eine Form von Koordinierung höhere Gewinne als im Wettbewerb erzielen, indem sie etwa Preise oder Mengen koordinieren. Kollusives Verhalten geht daher zulasten der Nachfrager und ist aus gesamtgesellschaftlicher Sicht unerwünscht.

Der Einfluss, den Preisalgorithmen auf Kollusion haben, hängt maßgeblich von den strukturellen Eigenschaften des jeweiligen Marktes sowie weiteren angebots- und nachfrageseitigen Faktoren ab. Je nachdem, wie diese Faktoren ausgestaltet sind, können Preisalgorithmen als weiteres Element Kollusion begünstigen. Verlässliche Aussagen dazu, ob es zukünftig öfter zu Kollusion kommen wird, lassen sich aus heutiger Sicht jedoch nicht treffen. Letztendlich wird Kollusion auch weiterhin vorrangig auf Märkten zu erwarten sein, die entsprechende Voraussetzungen dafür bieten. Hierzu zählen unter anderem hohe Markteintrittshürden, eine eher geringe Anzahl an Unternehmen und eine hohe Markttransparenz.

In datenintensiven Wirtschaftsbereichen wie der Internetwirtschaft können Preisalgorithmen Kollusion erleichtern, indem kollusives Verhalten automatisiert und damit technisch beschleunigt wird. Beispielsweise können sie Kollusion stabilisieren, indem Informationen über die Preise der Wettbewerber gesammelt und Abweichungen vom kollusiven Marktergebnis schneller sanktioniert werden. Der Einsatz von Preisalgorithmen kann zudem explizite wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen bzw. Verhaltensabstimmungen entbehrlich machen. Bei selbstlernenden Algorithmen ist schließlich die maßgebliche unternehmerische Entscheidung auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Preisalgorithmus vorverlagert und wird nicht erst im Rahmen der Preissetzung getroffen.

Die Entdeckung kollusiven Verhaltens aufseiten der Unternehmen durch Kartellbehörden ist regelmäßig schwierig. Dies betrifft zunächst die Feststellung der abgestimmten Verhaltensweisen als solches. Diese Schwierigkeiten werden beim Einsatz von Preisalgorithmen tendenziell zunehmen. Dies betrifft zudem den Nachweis einer möglichen Preisüberhöhung.

Daher sollten die Märkte im Hinblick auf Kollusionsrisiken beobachtet werden. Die Monopolkommission hält es insbesondere für geboten, die Marktbeobachtung im Wege kartellbehördlicher Sektoruntersuchungen zu verstärken. Da Informationen über möglicherweise kollusiv überhöhte Preise am ehesten bei den Verbraucherschutzverbänden anfallen, empfiehlt die Monopolkommission, den Verbraucherschutzverbänden ein Recht einzuräumen, die Durchführung kartellbehördlicher Sektoruntersuchungen zu initiieren. Die Ablehnung des Antrags wäre durch die Kartellbehörde näher zu begründen. Sollten sich im Rahmen der Marktbeobachtung konkrete Hinweise darauf ergeben, dass die Verwendung von Preisalgorithmen zum einen kollusive Marktergebnisse in beträchtlichem Umfang begünstigt und dass zum anderen die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln dauerhaft unzureichend ist, könnte eine Beweislastumkehr in Bezug auf den durch einen wettbewerbsrechtlichen Verstoß verursachten Schaden in Betracht gezogen werden. Denn dadurch kann die Haftung für die Vermögensnachteile, die der kollusive Einsatz von Preisalgorithmen mit sich bringen kann, im Zweifel den Verwendern solcher Algorithmen zugewiesen werden.

Zuletzt werden Preisalgorithmen häufig nicht von den mit dem Vertrieb befassten Unternehmen selbst entwickelt, sondern von IT-Dienstleistern mit einer speziellen Expertise bereitgestellt. Die Frage, ob ein solcher Dritter für wettbewerbsrechtliche Verstöße haftet, ist typischerweise von der Verantwortlichkeit der Unternehmen, die den Algorithmus zur Preisfindung einsetzen, abhängig. Damit können IT-Dienstleister entweder einer besonders weitreichenden Haftung unterliegen oder umgekehrt von Haftungslücken profitieren, je nachdem, ob die Entscheidung über die Ausgestaltung des konkreten Preisalgorithmus eher bei den Verwendern oder bei dem jeweiligen IT-Dienstleister liegt. Die Haftung solcher Dritter sollte grundlegend überprüft werden.


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